Sonntag, 27. Mai 2007
Cancha und Boliche
Mein erstes Fussballspiel: Wo, wenn nicht hier?
Allerdings nicht aus der Bonbonera, dem Bonbonschachtel-Stadion von Boca genascht, sondern schön ins Estadio Monumental von River Plates: 65.500 Plätze, Trommler, Hotdogbuden und Fan-Devotionalien. Aber kein Bier. Stimmung entfaltet sich auch ohne, sogar bei einem Freundschaftsspiel wie dem gegen Wolfsburg zur 150-jährigen Völkerfreundschaft Argentinien-Deutschland. Habe den Club Berlin nicht gehört, als das 2:1 Tor fiel. Dafür aber die "hinchas" (Fussballfanatiker) neben mir: "El que no salta es alemán". Und allerlei über Mütter, weibliche und männliche Geschlechtsteile in Verbindung mit der gegnerischen Mannschaft. In der Pause viel schwule Musik: Queen, Pet Shop Boys...ich wusste doch schon immer, dass Fussball ein durch und durch queerer Sport ist.
Danach Feuerwerk und Verlosung eines VWs, am hübschesten fand ich das omnipräsente Logo auf den weißen Shirts der durchtrainierten Trommler. Wie das Spiel war? Keine Ahnung, mir fehlte der Kommentator.
Zu Abrundung des Argentinischen Thementags mit Mitbewohnerin H. ins Nachtleben von Palermo geworfen.
Erst stylo: Präsentation eines Buchs über die Berliner U-Bahn in einer alten Bananenfabrik. Die Geschichte geht so: ein Grafiker aus B.A. reist nach Europa, bleibt in Berlin hängen, fährt viel U-Bahn, begegnet den seltsamsten Gestalten, schläft in der Ringbahn ein und verliebt sich in das gelbe Gefährt. Rausgekommen ist ein schickes kleines Buch mit filigranen Tuschegrafiken und einem Einband mit Sitzbezugmuster. Ich gratuliere dem Herrn, der schon schwer betrunken ist vom Gratiswein und dem Publikum. Und sehr glücklich: Adidas hat ihn als Designer engagiert. In Deutschland

Das Glück liegt vielleicht in Herzogenaurach oder im Espacio Björk, wo es Designerklamotten zu H&M-Preisen und Dildos in Form von quietschgrünen Maulwürfen gibt.
Oder im "Bangalore", wo man fast im Dunklen steht und exzellenten Gin zu Indierock serviert kriegt.
Wo das Glück jedenfalls nicht liegt: in der Schlange vor dem "Esperanto", wo Models mit Somberos und Zuhältertypen aus dem Taxi reinhüpfen, alle anderen aber zwei Stunden (!) Schlange stehen.

Drinnen sehr viele sehr betrunkene Menschen, Fernet Branca mit Cola und die Erkenntnis, dass sich der gemeine Argentinier männlichen Geschlechts in der Boliche in einen Hai verwandelt. Oder wie nennt man sonst Geschöpfe, die in Schwärmen von allen Seiten attackieren, von hinten an den Arsch fassen, von links schreien, "Kiss me, kiss me! Linda!" und von vorn die immergleichen Fragen stellen: Arbeitest du oder machst du Urlaub? Gefällt dir die Stadt? Und wie gefalle ich dir? Wollen wir nicht...
Nee, nee, wollen wir alles nicht, aber zu Electro-Cumbia tanzen macht großen Spass. Einmal.
Auf der Nachhausefahrt ein schrecklicher Unfall.

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Quality Street
Die Stadt: Eine Bonbonschachtel.
Jeden Tag was Neues rausfischen, probieren, lecker finden. Oder schrecklich.
Sehr lecker: Boedo, Once, Abasto.
In die Nationale Boxakademie kann man einfach so reinspazieren. Eine abgeranzte Halle im 30er-Jahre-Stil voller Schweiss und Muskeln. Jungs, die draußen nicht viel zu melden haben, zeigen Sandsack und Gegner, wo der Gaucho sein Steak holt. Darunter auch ein paar Mädchen, Million Dollar Babys.
Direkt gegenüber abwechselnd Stundenhotels und versiffte Tango-Schuppen mit Publikum, das schon viel bessere Tage gesehen hat. Um die Ecke das großartige, überelegante Café Las Violetas, mit Torten so groß wie die Kronleuchter.
Das Kulturzentrum in der selbstverwalteten Aluminiumfabrik IMPA existiert nicht mehr, sagt der Mann an der Pforte. Jetzt werde hier wieder ordentlich gearbeitet, Schluss mit Zwischennutzung.

In der politikwissenschaftlichen Fakultät der UBA wird hingegen noch der gute, alte Klassenkampf hochgehalten. Und die Kunst der agitatorischen Wandmalerei. Einen RCDS gibt es hier garantiert nicht, dafür viele, viele, viele Transparente und garantiert keinen Leerlauf zwischen den Seminaren. Denn irgendwo gibt es immer etwas anzuprangern.

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