Mittwoch, 13. Juni 2007
Los dos demonios
Das kommt davon, wenn man der Literatur glaubt.
"Die Bar meines Freundes Norman ", beteuert mein neuer Lieblingsschriftsteller Fabián Casas, "existiert wirklich. Sie ist an der Ecke Cordoba und Billinghurst, zwei goldene Löwen bewachen den Eingang".
Norman, schreibt Casas, sei massig, blond und gelernter Friseur. Er trage sieben Ringe an den Fingern, unter anderem "NOR" und "MAN", sein grösster Held sei Batman. In der Bar: Zebrabezüge, rote Herzen, Spiegel und eine sehr gemischte Klientel.
Natürlich musste ich da hin. Auch L. gefiel die Idee, wegen eines Kurzgeschichtenbandes üble Spelunken aufzusuchen. Gestern also, nach Redaktionsschluss auf zu den Löwen. Da standen sie, vor dem Eingang unterhielten sich drei ausgesprochen schmierige ältere Herren in Kamelhaarmänteln und spitzen Schuhen. An den verspiegelten Scheiben stand: "VIP Champagner Bar" und "Dieses Lokal wird von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht." Leider war noch geschlossen.
In einer Theaterkneipe erklärte mir L., was es mit den zwei Dämonen auf sich hat. Zu meiner Überraschung hat es wenig mit Heavy Metal zu tun, aber viel mit der Diktatur: Danach, während des Proceso, hieß es, dass ja schließlich beide gleichermassen Teufel gewesen seien: Die Militärs und die bewaffneten linken Guerillagruppen. Daher würde sich das mit der Schuld ja irgendwie aufheben. Angesichts 30.000 "Verschwundener", in den Fluss geschmissener und in unterirdischen Folterzentren zu Tode gequälter Menschen eine wirklich teuflische Theorie. Und natürlich eine Position der extremen Rechten.
Und das alles erzählt mir eine Frau, die ihre Eltern nie kennen gelernt hat, weil sie verschleppt wurden, als sie ein Jahr alt war. Heute arbeitet sie für eine Zeitung, die damals stramm auf Seiten des Regimes war.
Zwischen den Löwen sind jetzt die Türen geöffnet, drinnen alles voller Spiegel und viele 17jährige in knappsten Röckchen, die in den Sesseln lümmeln, sich gegenseitig das Dekolleté richten und warten. Wir bestellen Champagner für zwei Euro fünfzig das Glas, setzen uns den bohrenden Blicken der Barfrau aus und beobachten, wie Männergruppen herein strömen und im Keller verschwinden. Der grosse Mann in Schwarz ist vermutlich Norman, aber die Ringe und Ketten sind weg. Musik legt er auch keine auf, er ist zu sehr damit beschäftigt, die Mädels nach draussen zu scheuchen, damit sie mehr Kunden fangen. Eine Laufschrift warnt davor, Streit anzuzetteln oder Peronen beiderlei Geschlechts zu belästigen. Belästigen kostet hier nämlich mindestens ein paar Gläser Champagner. Was im unteren Höllenkreis der Dämonen stattfindet, malen wir uns zwar aus, verkneifen uns aber das Hinabsteigen. So viel Realismus muss dann doch nicht sein.

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