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Mittwoch, 9. Mai 2007
Schlingern
bloggos aires, 17:04h
Heute nacht aufgewacht, aber nicht der Kaelte wegen: Mutti hat Decken und Heizkoerper besorgt. Sondern weil ich wieder von dieser Frau in der U-Bahn getraeumt habe. Sie stieg auf der Linie B ein, zwischen Callao und Pasteur, als ich mir gerade einen Sitzplatz erkaempft hatte. Erst sah ich sie nur von hinten: kahl geschorener Schaedel, von dem genau in der Mitte ein langer schmaler Schopf herabhing. Jogginghose. Irgendwas an ihr war komisch. Dann sah ich sie von vorne und haette beinahe geschrien: Kein Gesicht, sondern ein obszoen solarienbrauner Fleischkrater, bis zur Unkenntlichkeit vernarbt und entstellt, keine Nase, die Augen Loecher. Nur ein breiter, intakter Mund mit dicken rosa Lippen, der laut seine Klage in den Waggon spuckte: Brandverletzung, Operation, teuer, Geld. Ihre Arme endeten in Stuempfen, das Geld sammelte sie in einem Eimerchen ein. Vor Entsetzen reagierte ich nicht und gab ihr nichts, seitdem verfolgt sie mich nachts.
Trotzdem heute in Abenteuerlaune. Als erste Uebung mit dem Bus gefahren, im Hellen und mit dem Stadtplan auf dem Schoss geht es. Als Vorbereitung fuer das Washington Cucurtu-Interview eins seiner Buecher gekauft: Cosa de Negros. Naechste Schwierigkeitsstufe: So muss sich ein amerikanischer Goethe-Sprachschueler fuehlen, den man auf den Pausenhof der Ruetlischule aussetzt: maximales Unverstaendnis. Trotzdem kann man sich auch ganz ohne lokalen Referenzhorizont vorstellen, worum es geht: Billiger Sex, billiges Bier, billige Tanzvergnuegen und billiges Kokain. Auf den Typ und seinen Verlag bin ich ja mal gespannt. Sie sitzen in La Boca, dort war ich noch nie. Das wird ein grosser Spass, wenn Blondie da auftaucht. Vielleicht sagen sie dann wieder so reizende Sachen wie: "Ich will dir das Gesicht mit Kuessen zerreissen". Ein etwas gewalttaetiger Charme.
Morgen Nacht werde ich bestimmt von der zurechtgelifteten, gebrauenten Showmasterfresse von Marcelo Tinelli traeumen. So eine Art argentinischer Dieter Bohlen mit einer Udo-Juergens-Frisur und dem Humor eines Dieter Hallervorden. Seine unglaubliche Show "Bailando por un sueño" (Tanzen fuer einen Traum) soll vordergruendig eine Tanzshow sein. Aber eigentlich ist es ein "catálogo de putas", wie sie Geschaeftsleuten in brasilianischen Hotels vorgelegt werden. Um Tinelli zu aergern, hat ein anderer Sender zur gleichen Zeit ein Exklusivinterview mit Maradona gezeigt, in dem er erstaunlich gesund aussah und Dinge sagte wie: "Sie haben mich schon so oft getoetet. Aber ich lebe immer noch." Nicht nur interessiert es jemanden, sie wiederholen es seit drei Tagen unverdrossen auf jedem verfuegbaren Sendeplatz. Und auf den Amisendern kommt schon zum 5. Mal Prison Break.
Fotos gibts heut uebrigens nicht, vor lauter Putzen geht jetzt das Internet nicht mehr.
Trotzdem heute in Abenteuerlaune. Als erste Uebung mit dem Bus gefahren, im Hellen und mit dem Stadtplan auf dem Schoss geht es. Als Vorbereitung fuer das Washington Cucurtu-Interview eins seiner Buecher gekauft: Cosa de Negros. Naechste Schwierigkeitsstufe: So muss sich ein amerikanischer Goethe-Sprachschueler fuehlen, den man auf den Pausenhof der Ruetlischule aussetzt: maximales Unverstaendnis. Trotzdem kann man sich auch ganz ohne lokalen Referenzhorizont vorstellen, worum es geht: Billiger Sex, billiges Bier, billige Tanzvergnuegen und billiges Kokain. Auf den Typ und seinen Verlag bin ich ja mal gespannt. Sie sitzen in La Boca, dort war ich noch nie. Das wird ein grosser Spass, wenn Blondie da auftaucht. Vielleicht sagen sie dann wieder so reizende Sachen wie: "Ich will dir das Gesicht mit Kuessen zerreissen". Ein etwas gewalttaetiger Charme.
Morgen Nacht werde ich bestimmt von der zurechtgelifteten, gebrauenten Showmasterfresse von Marcelo Tinelli traeumen. So eine Art argentinischer Dieter Bohlen mit einer Udo-Juergens-Frisur und dem Humor eines Dieter Hallervorden. Seine unglaubliche Show "Bailando por un sueño" (Tanzen fuer einen Traum) soll vordergruendig eine Tanzshow sein. Aber eigentlich ist es ein "catálogo de putas", wie sie Geschaeftsleuten in brasilianischen Hotels vorgelegt werden. Um Tinelli zu aergern, hat ein anderer Sender zur gleichen Zeit ein Exklusivinterview mit Maradona gezeigt, in dem er erstaunlich gesund aussah und Dinge sagte wie: "Sie haben mich schon so oft getoetet. Aber ich lebe immer noch." Nicht nur interessiert es jemanden, sie wiederholen es seit drei Tagen unverdrossen auf jedem verfuegbaren Sendeplatz. Und auf den Amisendern kommt schon zum 5. Mal Prison Break.
Fotos gibts heut uebrigens nicht, vor lauter Putzen geht jetzt das Internet nicht mehr.
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Dienstag, 8. Mai 2007
Boys don´t cry
bloggos aires, 20:09h
Soundtrack des Tages:
Girl From Ipanema, Whiter Shade of Pale, unterdruecktes Fluchen
(Subte)
Boys don´t cry, I just died in your arms tonight, Love Will Tear us Apart, leise gedrehte Fussballkommentare, Juchzen: Goooooool!!!
(Zeitung)
Stairway to Heaven, Hotel California, Ring My Bell, Adiós Le Pido, "You buy Leather Jacket? Very good"
(Fussgaengerzone)
El Día Que Me Quieras, Mí Buenos Aires Querido, Magenknurren
(Subte)
Girl From Ipanema, Whiter Shade of Pale, unterdruecktes Fluchen
(Subte)
Boys don´t cry, I just died in your arms tonight, Love Will Tear us Apart, leise gedrehte Fussballkommentare, Juchzen: Goooooool!!!
(Zeitung)
Stairway to Heaven, Hotel California, Ring My Bell, Adiós Le Pido, "You buy Leather Jacket? Very good"
(Fussgaengerzone)
El Día Que Me Quieras, Mí Buenos Aires Querido, Magenknurren
(Subte)
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Mutti
bloggos aires, 10:16h
Jetzt ist er also da, der allseits gefürchtete Winter. Und es ist keineswegs so, dass er für eine klimatisch abgehärtete Nordeuropäerin (so sagte es jedenfalls der Taxifahrer, den ich kurioserweise an, also bitte, "das Land von Björk" erinnerte) Kinderfasching wäre.
Hab mir ganz schön einen abgefroren, als ich auf der Suche nach einer Ausstellung in eine Peronistenkundgebung zum Achtzigsten (oder wars der Achtundachtzigste?) Geburtstag von Evita verirrt habe. Von den Feuerwerkskörpern und den Typen mit den großen Holzstangen in der Hand verstört, schnell abgedreht. Auffallend viele Jugendliche auch, die sich im Namen Evitas versammelt haben. Mir ist das alles zu katholisch mit diesem blonden Engel der Armen. Fehlt noch, dass sie kleine Evita-Wachsfiguren auf der Schulter durch die Gegend tragen.
Auf der Av. Florida, die wohl die größte zusammenhängende Shopping-Fußgängerzone ist, demofreie Zone. Dort ziehen sich alle die Schals vors Gesicht. Das scheint nun doch ein wenig übertrieben. So kalt ist es eigentlich nicht, nur der Wind pfeift recht durchdringend.
Gut, dass die Herbergsmutter, frisch aus Frankreich zurückgekehrt, sich jetzt um alles kümmert: Mehr Decken, ein Heizkörper für jedes Zimmer, ein paar neue Deckchen in der Wohnung. Auch die Katzenklos stinken weniger, bilde ich mir ein. Vielleicht alles psychosomatisch, weil Mama weg war. Jedenfalls herrscht hier jetzt Ordnung. Die Putzfrau kommt, jetzt wird gereinigt, alle raus. Jawohl.
Hab mir ganz schön einen abgefroren, als ich auf der Suche nach einer Ausstellung in eine Peronistenkundgebung zum Achtzigsten (oder wars der Achtundachtzigste?) Geburtstag von Evita verirrt habe. Von den Feuerwerkskörpern und den Typen mit den großen Holzstangen in der Hand verstört, schnell abgedreht. Auffallend viele Jugendliche auch, die sich im Namen Evitas versammelt haben. Mir ist das alles zu katholisch mit diesem blonden Engel der Armen. Fehlt noch, dass sie kleine Evita-Wachsfiguren auf der Schulter durch die Gegend tragen.
Auf der Av. Florida, die wohl die größte zusammenhängende Shopping-Fußgängerzone ist, demofreie Zone. Dort ziehen sich alle die Schals vors Gesicht. Das scheint nun doch ein wenig übertrieben. So kalt ist es eigentlich nicht, nur der Wind pfeift recht durchdringend.
Gut, dass die Herbergsmutter, frisch aus Frankreich zurückgekehrt, sich jetzt um alles kümmert: Mehr Decken, ein Heizkörper für jedes Zimmer, ein paar neue Deckchen in der Wohnung. Auch die Katzenklos stinken weniger, bilde ich mir ein. Vielleicht alles psychosomatisch, weil Mama weg war. Jedenfalls herrscht hier jetzt Ordnung. Die Putzfrau kommt, jetzt wird gereinigt, alle raus. Jawohl.
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Montag, 7. Mai 2007
Draussen nur Kaennchen
bloggos aires, 18:06h
Die lokale Variante heisst: Sonne scheint, aber an den huebsch gedeckten Tischen gibt es nur Getraenke. Essen nur drin im klimatisierten Mief. Sandwiches zum Mitnehmen bestellen und draussen essen: verboten. "Entweder essen oder sonnen" sagt der charmante Kellner im Frack. Tja, keine Arme, keine Kekse. Koennte fast schon Berlin sein, nur laecheln sie hier wenigstens noch dabei.
Die Subte faehrt werktags ab 10:30 nicht mehr. Und seit heute nacht gibt's auch keine Busse mehr nach 22:00. "Dann seh'n se doch wie se nach hause kommen, wa". Proteste bleiben komischerweise aus, man ist hier Kummer gewoehnt, mit einer U-Bahn, die viel zu selten faehrt, wo die Lueftung nicht funktioniert und alle, die mehr als 7 Stationen fahren, seekrank aussehen. Dafuer soll es ab dem Fruehling Busse fuer Touristen geben, fuer das 50fache des Fahrpreises wird man dann, gaenzlich unbelaestigt von Frauen ohne Arme, Bettlerkindern und HIV-kranken Nicht-Sozialhilfeempfangern, in Doppeldeckern durch die City fahren koennen. Wenn ich zurueckkomme, will ich jedenfalls nie wieder Genoele ueber die BVG hoeren.
Die Subte faehrt werktags ab 10:30 nicht mehr. Und seit heute nacht gibt's auch keine Busse mehr nach 22:00. "Dann seh'n se doch wie se nach hause kommen, wa". Proteste bleiben komischerweise aus, man ist hier Kummer gewoehnt, mit einer U-Bahn, die viel zu selten faehrt, wo die Lueftung nicht funktioniert und alle, die mehr als 7 Stationen fahren, seekrank aussehen. Dafuer soll es ab dem Fruehling Busse fuer Touristen geben, fuer das 50fache des Fahrpreises wird man dann, gaenzlich unbelaestigt von Frauen ohne Arme, Bettlerkindern und HIV-kranken Nicht-Sozialhilfeempfangern, in Doppeldeckern durch die City fahren koennen. Wenn ich zurueckkomme, will ich jedenfalls nie wieder Genoele ueber die BVG hoeren.
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Dämonen
bloggos aires, 11:29h
Maria Salome, Jorge Newbery, die Familien Pugliese und Molfino und all die anderen liegen gut. Auf dem Chacarita-Friedhof hat alles seine Ordnung: Wärter am Eingang, Straßennamen, eingeschränkter Autoverkehr, geregelte Zugangszeiten zu den Urnengräbern, die in endlosen Gängen übereinandergestapelt sind. Die Gräber wie im Diesseits: es gibt Reihenhäuser, Bungalows, geräumige Einfamilienhäuser und prächtige Villen mit Kuppel und Engeln obendrauf. Das Amt für das Auflassen von Gräbern ist beängstigend gut ausgeschildert.
Eine alte Frau drückt mir ein "diario a servicio de Dios" in die Hand, ich sehe offenbar bedürftig aus. Tatsächlich finde ich Carlos Gardel nicht, nur einen Cemeterio Aleman. Beim nächsten Mal, Carlitos. Jetzt erst einmal zurück zum Comic, den ich mir auf der Buchmesse gekauft habe: Héctor Germán Oesterheld hat in den 50ern und 60ern Abenteuergeschichten geschrieben wie "El Eternauta". Während der Militärdiktatur wurde er verschwunden, jetzt werden seine Comics wieder aufgelegt.
Abends Dämonen. Dostojewskij, inszeniert von Mitbewohner Gonzalo unter dramaturgischer Mithilfe von Vermieterin Caro. Pflichttermin. Das Teatro Espacio Callejón auf der Humahuaca ist ganz verwinkelt, mit Wendeltreppen und wildem Wein.
Die Inszenierung ist aber auch extrem old school. Man ist das ja alles nicht mehr gewohnt: keine Musik, keine großartigen Licht-oder Nebelorgien, keine Videoprojektionen. Nur: Theater. Dialog, Körpersprache, ein Tisch, zwei Stühle, fertig.
Am Anfang will ich gleich wieder gehen. Das ist mir zuviel Brecht: Arbeiterlieder auf der Gitarre werden da geklampft, dann steigern sich Dialoge urplötzlich zu einem Geschrei, auch das Gerangel und die Gesten wirken künstlich. Erst ab der zweiten Hälfte geht's. Super aber: der pädagogische Selbstmord. Sich umzubringen, nur um die größtmögliche Willensfreiheit des Menschen zu beweisen. Der Frau neben mir gefiel's offenbar gar nicht: sie schnaubte ständig, blickte böse in ihr Dekolleté und scharrte mit den Beinen.
Und ich brauche eine diplomatische Antwort auf die Frage, wie ich's denn fand. Theaterkonservativ: wenigstens ist der Dostojewskij noch zu erkennen. Touristisch: cheee, sehr schwierig zu verstehen, vor allem die lokalen Referenzen.
Genau, so wird's gemacht. Auf ins stinkende Microcentro.
Eine alte Frau drückt mir ein "diario a servicio de Dios" in die Hand, ich sehe offenbar bedürftig aus. Tatsächlich finde ich Carlos Gardel nicht, nur einen Cemeterio Aleman. Beim nächsten Mal, Carlitos. Jetzt erst einmal zurück zum Comic, den ich mir auf der Buchmesse gekauft habe: Héctor Germán Oesterheld hat in den 50ern und 60ern Abenteuergeschichten geschrieben wie "El Eternauta". Während der Militärdiktatur wurde er verschwunden, jetzt werden seine Comics wieder aufgelegt.
Abends Dämonen. Dostojewskij, inszeniert von Mitbewohner Gonzalo unter dramaturgischer Mithilfe von Vermieterin Caro. Pflichttermin. Das Teatro Espacio Callejón auf der Humahuaca ist ganz verwinkelt, mit Wendeltreppen und wildem Wein.
Die Inszenierung ist aber auch extrem old school. Man ist das ja alles nicht mehr gewohnt: keine Musik, keine großartigen Licht-oder Nebelorgien, keine Videoprojektionen. Nur: Theater. Dialog, Körpersprache, ein Tisch, zwei Stühle, fertig.
Am Anfang will ich gleich wieder gehen. Das ist mir zuviel Brecht: Arbeiterlieder auf der Gitarre werden da geklampft, dann steigern sich Dialoge urplötzlich zu einem Geschrei, auch das Gerangel und die Gesten wirken künstlich. Erst ab der zweiten Hälfte geht's. Super aber: der pädagogische Selbstmord. Sich umzubringen, nur um die größtmögliche Willensfreiheit des Menschen zu beweisen. Der Frau neben mir gefiel's offenbar gar nicht: sie schnaubte ständig, blickte böse in ihr Dekolleté und scharrte mit den Beinen.
Und ich brauche eine diplomatische Antwort auf die Frage, wie ich's denn fand. Theaterkonservativ: wenigstens ist der Dostojewskij noch zu erkennen. Touristisch: cheee, sehr schwierig zu verstehen, vor allem die lokalen Referenzen.
Genau, so wird's gemacht. Auf ins stinkende Microcentro.
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