Donnerstag, 17. Mai 2007
I'm lovin' it
Heute streikte die Subte, alle fünfhundert Millionen Einwohner mussten gleichzeitig mit dem Bus ins Stadtzentrum. Während sich alle darauf konzentrierten, sich möglichst flach zu machen, den Ellbogen des Nachbarn aus der Nierengegend zu kriegen und sich gleichzeitig festzuhalten, grinste der Fahrer sardonisch, trat tierisch auf die Bremse. Und als dann alle kreuz und quer durcheinander flogen, drehte er genüsslich das Radio auf. "Love shack" von den B52s:
Huggin' and a kissin', dancin' and a lovin', wearin' next to nothing
Cause it's hot as an oven
The whole shack shimmies! The whole shack shimmies when everybody's
Movin' around and around and around!
Everybody's movin', everybody's groovin' baby!
Folks linin' up outside just to get down
Everybody's movin', everybody's groovin' baby
Funky little shack! Funky little shack!

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Schnittchen
Gestern scheint ein Knoten geplatzt zu sein: Plötzlich nimmt man mich mit in die Zeitungskantine, wo man umsonst ein Menü mit Salaten, Vorspeise, Hauptspeise, diversen Törchen kriegt. Besonders lecker ist es nicht, aber egal. Plötzlich werden Telefonnummern ausgetauscht und Essenseinladungen ausgesprochen. Und plötzlich lädt mich der Oberchef (ich kann mir nicht helfen, er erinnert mich immer ein bisschen an Mr Burns, obwohl er eher aussieht wie Chirac) zu einem Zeitungsempfang ein. Da sitze ich also mit Chef und zwei Kolleginnen im Taxi, während man mir kurz erklärt, um was es geht:
Die Nación schreibt jedes Jahr einen Essay-Wettbewerb aus, gewonnen hat dieses Jahr Carlos Mina mit einem Buch über die Bedeutung des Tango für den gesellschaftlichen Zusammenhalt eines Immigrantenlandes.

Ausgerechnet heute hab ich Jeans an. Das Hotel Alvear ist ein pompös-barocker Edelschuppen mit livrierten Angestellten, meterdicken Teppichen, Lüstern und Ballsaal. In dem stehen lauter Journalisten und Kulturmenschen rum, essen Häppchen,trinken Wein und warten auf den Vizepräsidenten. Lustig, bei unseren Empfängen wird erst geredet, dann gegessen. Hier essen und reden alle einfach weiter, als der Vizepräsident und der Kulturminister ihre Ansprachen halten. Dabei ist der letztere ein brillianter Redner, der es schafft, in acht Minuten vom argentinischen Rock über einen Anti-Macho-Witz zum Tango überzuleiten. Da könnten sich unsere Schmitzens und Wowereits aber mal eine Scheibe abschneiden.
Still wird es erst, als der Preisgekrönte zwei Sätze sagt. Weil er so verlegen ist, ist der Applaus nachher um so stärker. Kollegin Laura ist nervös, sie hat nach den Reden noch genau 50 Minuten Zeit für 130 Zeilen. Wir rasen zurück zur Zeitung. Chirak-Burns bleibt noch, er schreitet mit einem riesigen Block ganz wichtig durch die Menge und notiert wichtige Namen. Als ich mal über seine Schulter geschaut habe, hatte er exakt drei Namen notiert, war dafür aber schon beim dritten Glas Weißwein. Groß, der Mann. Sein maßgeschneiderter Anzug wird auch nach dem sechsten noch tadellos sitzen.
Während Laura im Glaskasten verschwindet, fahre ich nach Hause, wo Mitbewohner Gonzalo schon wieder gekocht hat. Wie gestern essen wir mit Herbergsmutti Caro und reden über Maradona, Kirchner, die schönsten Schimpfwörter und den Aufstand in den Pendlerzügen von Constitución, der es sogar in den Spiegel geschafft hat.
Langsam fühlt es sich hier nach Alltag an.

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Dienstag, 15. Mai 2007
Psycho
"Wissen Sie, was das größte Problem Argentiniens ist?", sagte der Taxifahrer und fixierte mich im Rückspiegel. "Es ist voller Argentinier".
Es gibt Tage, da denke ich das auch. Heute, zum Beispiel. Unten, am Nachbarhaus: Baustelle ab halb acht. Kopf platzt. In der Wohnung:eine Putzfrau, die rumort und feudelt, ohne dass man hinterher große Veränderungen feststellen kann. Die nächstliegenden drei Bankautomaten: Kaputt oder ohne Bargeldvorrat. Einen Traveller Check tauschen: Fast unmöglich. Telefon: mal wieder kaputt. Die Subte:
Fährt nicht, später vielleicht wieder. Kaputt, inkompetent, im Arsch. Dritte Welt.
Das wissen die Argentinier natürlich auch. Schließlich vergleichen sie sich ja dauernd mit Europa. Trotz der Villas (= Slums), der korrupten Bullen, der Cartoneros und peruanischen Drogenbanden. Und es schmerzt sie im Innersten, dass Lima und Kalkutta oft näher sind als Paris oder Berlin.
Ein perverses Gefühl der Erleichterung beim Betreten der deutschen Botschaft. Hübsche Gegend, Sicherheitsschleuse, aber keine Bürokratie, eingehaltene Termine, Effizienz und Freundlichkeit. Um Punkt halb Eins geht's zum Essen, nicht ohne vorher die Rufumleitung einzustellen und "Mahlzeit" zu wünschen.
"Dieses Land ist doch eine einzige Scheiße", sagt Mitbewohner Gonzalo beim Mittagessen. Ich packe kurz in Gedanken Rütli, Pisa, den Berliner Bankenskandal und Ackermann in die Waagschale und sage: "Vielleicht noch ein paar Nudeln?"

Pablo, der grossartige Tango/Klassik-Komponist mit dem dämonischen Profil und dem zurückweichenden Haaransatz, sagt dazu: Freud. Er selbst und alle seine Bekannten hätten schon auf der Couch gelegen. Wie sonst solle man das alles aushalten, die Wirtschaftskrisen, die Armut, den immer währenden Minderwertigkeitskomplex? Na, dafür habt ihr doch den Tango, oder nicht? frage ich. Pablo lächelt ein etwas unheimliches Lächeln und schaut aus dem Fenster. Da drüben, zeigt er mir, haben sie mich vor zwei Jahren entführt. Mittags um zwei. Am hellichten Tag. Und sie wussten von meinem Bankschließfach.
Pablo ist es, der mich darauf aufmerksam macht, dass schräg gegenüber von meinem Haus ein Polizist steht.
Eine gute Nachricht für meinen Laptop - vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.

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Sonntag, 13. Mai 2007
Gardel mit Taubenschiss
Irgendwie kommt hier doch immer alles ganz anders.
Erst meldete sich der Interviewpartner nicht, dann fiel der Latinorock aus, statt dessen gab's ein Murga-Fest (Mischung aus volkstümlicher Musik und Kabarett mit Gesichter anmalen und über die Regierung herziehen.) Da wäre ich hingegangen, aber dann kam eine Erkältung, plötzlich und heftig. Was vielleicht an den Deutschen lag.
Aber der Reihe nach: Zu Besuch in Belgrano beim Club Berlin. Der bestand aus etwa zehn mehr oder weniger alten Herrschaften, die sich bei Kaffee und Kuchen in einem Restaurant auf der Plaza Belgrano versammelten. Herr und Frau Wasserreich, um die achtzig und gebürtige Westberliner, erkundigten sich in schwer akzentuiertem Deutsch, ob es das Berlinische Tageblatt noch gebe. Der Clubchef,gebürtiger Argentinier, Herzensberliner und Anwalt, erzählte, wie er für argentische Klienten Immobilien in Mitte und Brandenburg "rücküberführt" hat. Sein 17jähriger Sohn, der aussah wie eine 14jährige Ausgabe von Maradona, berichtete in fehlerfreiem Deutsch von seiner Deutschland-Rundreise, wo er zwar Nürnberg, Augsburg, Herzogenaurach, Hamburg und Frankfurt kennengelernt habe, leider aber nicht Berlin. Ich stand kurz vor meiner Aufnahme als Ehrenmitglied, als der Vizechef zum Aufbruch mahnte: Ins Kino, zu "la vida de los otros". Nächsten Samstag aber wird in einer deutschen (!) Gartenstadt im Vorort zu Mittag gegessen. Das Lokal heißt Graf Zeppelin. Geil.
Vor lauter Euphorie und weil es mal wieder doch ziemlich weit und viel war: Hals! Nase! Aua!
Nix mit Ausgehen. Gar nix.
Heute dann San Telmo.

Auf der Plaza Dorrego Show-Tangotänzer, die auf einem Stück Pappe tanzen. Eine verlebte Alte mit Rose in den Strumpfbändern und Hut auf dem Kopf. Ein Puppenspieler, der eine Marionette im Tangotakt saufen und torkeln lässt. Jede Menge Typen, die behaupten, entweder genau wie Carlos Gardel zu singen, bei ihm gelernt zu haben, oder wenigstens eine seiner Krawatten zu besitzen. Und natürlich der Antiquitätenmarkt.
Die "Defensa" entwickelt sich nach einigen Metern zu einem Kunsthandwerks-Strich. Aber schon wenige Ecken weiter ist Ruhe, Merkwürdigkeiten wie eine dänische Backsteinkirche, die "Bar Británico", deren Schild zur Zeit des Falkland-Kriegs überklebt wurde, so dass nur noch "Bar Tánico" zu lesen war. Dort zu Maggies Ehren eine hauchdünne, riesige Milanesa (Schnnitzel) gegessen. (Na gut: gegenüber). Und im Amphitheater des Lezama-Parks einem Tango-Orchester gelauscht.

Da stehe ich dann satt, zufrieden und den Kopf voller Melodien an der Straßenecke und warte auf den Bus. Plötzlich von oben etwas Nasses, begleitet von einem furzähnlichen Geräusch. Ein paar Leute bleiben stehen und glotzen, ein paar lachen, eine Dame nimmt mich zur Seite: "Senora, Ihnen hat ein Vogel auf den Kopf gekackt. Und, wenn ich das sagen darf, Ihre ganze Hinterseite ist bekleckert. Bis unten."
Noch ganz verwirrt, versuche ich durch Halsverrenkungen und Tasten das Ausmaß des Schadens festzustellen, da rubbelt die Dame auch schon mit einem angefeuchteten Taschentuch an mir rum und kommandiert: "Hier rüber kommen, Jacke ausziehen! Still halten! Jetzt Wasser drüber!" Zwei Herren bleiben stehen, ziehen ihrerseits Taschentücher hervor und rätseln über die Art des Vogels und seine Ernährung. Das Vieh müssse nicht nur einen vollen Magen sondern auch enormen Durchfall gehabt haben, stellen sie fest. Jetzt rieche ich es auch. Wie eine Mischung aus sauergewordener Hotdog-Mayonnaise und vergammeltem Müll.
Die energische Frau lässt urplötzlich von mir ab und geht weg, einer der Männer fummelt in meiner Tasche nach Taschentüchern und ist im Begriff, mein "Engelshaar" mit einer Flasche Wasser zu übergießen. Da reiße ich Tasche und Jacke an mich, murmele was von Waschmaschine und springe in ein Taxi.
Seltener habe ich mich als Fahrgast unwillkommener gefühlt, als bei dieser langen Rückfahrt...

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Amigo

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