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Montag, 18. Juni 2007
Milonga
bloggos aires, 20:09h
Vor halb eins werde sie es leider nicht schaffen, sagte die Herausgeberin einer Tango-Zeitschrift, als ich sie anrief, um ein Interview zu vereinbaren. "Ich bin nämlich milonguera und lebe nachts".
Na prima. Nach den Ausschweifungen der letzten Nächte wollte ich eigentlich mal wieder früher ins Bett. Aber man muss Opfer bringen.
Das Italia Unita ist ein ehemaliges Theater, das einem italienischen Kulturverein gehört. Zumindest nachts ist es aber sehr argentinisch. Die Kellnerinnen tragen kleine schwarze Hüte, die tanzbereiten Damen ausnahmslos hochhackige Tangoschuhe und Kleider. Sie sitzen von den Herren getrennt und warten. Plötzlich steht ein Herr von einem Männertisch auf und läuft quer durch den Raum direkt auf eine Frau zu, die er auf die Tanzfläche führt. Ohne auch nur ein Wort zu reden. Nach drei Tangos ertönt "Owner of a lonely heart" von Yes, dann gehen beide wieder zu ihren Tischen zurück. Mysteriös. Das ist also der berühmte Code der Blicke. Wenn man jemanden zu lange anguckt, kommt er an und man muss tanzen. Gefragt wird die Dame beim Tango ja eher weniger.
L. und ich nippen nervös am Rotwein, schauen auf den Boden und warten auf die Tangoexpertin. "Ich hatte erst 15 Tanzstunden", zischt L. "Hast du gesehen, wie die hier alle tanzen?"
In der Tat. Hier sind anscheinend lauter Profis unterwegs, die hochelegant und ohne die mindesten Koordinationsstörungen übers Stäbchenparkett gleiten. Ich würde lieber sterben, als meine teutonischen Trampelfüsse auch nur eine Sekunde auf dieses Pflaster zu setzen. Die Tangoexpertin erscheint, lacht über unsere verschreckten Tanzstundenminen und klärt uns auf: Nur gucken bedeutet gar nix. Aber wenn einem ein Herr in die Augen schaut und leicht das Kinn hebt, dann will er tanzen. Entweder nickt die Dame dann und erhebt sich, oder sie wühlt so lange konzentriert in ihrer Handtasche oder schaut in die Luft, bis er die Message verstanden hat. Getanzt wird dann aber immer eine ganze "tanda", drei oder vier Tangos. Erst wenn die Musik wechselt, kann man gehen. Wenn man schlecht getanzt hat und trotzdem noch mal aufgefordert wird, ist es was Sexuelles.
Um halb drei gibt es eine kleine Show-Einlage: Ein 16jähriges Wunderkind tanzt mit ihrem pferdeschwänzigen Partner, dass alle aufstehen und die Gläser erheben. Sie kommt aus einer Familie von Turniertänzern und hat mit zwei die ersten Schritte gelernt.
Ich wehre erschrocken einen Typen ab, der mit mir tanzen will. L. tanzt, schämt sich, tanzt nochmal, und nochmal. Zwei mal der gleiche Tänzer, obwohl der mindestens fünfmal so gut tanzt wie sie. Muss wohl was Sexuelles sein. Um halb fünf schlafe ich fast am Tisch ein, die Tangofrau hat neue Energie getankt und redet einfach immer weiter. L. tanzt, die Kellnerin bringt Gratis-Sekt und ich muss ins Bett.
Als wir schlaftrunken auf ein Taxi warten, kommt ein junges Paar an. "Was,es leert sich da drin? Was ist bloss los mit den Milongas von Buenos Aires?!" empört sich die Tänzerin und zieht ihren Mann an der Hand hinein, für einen letzen Tanz. Die machen mich fertig mit ihrem Tango.
Am nächsten Morgen erzählt mir Caro beim Frühstück, dass die Milonga und das Kokain zusammen gehören wie Techno und Ecstasy.
Wieder was Wichtiges gelernt.
Na prima. Nach den Ausschweifungen der letzten Nächte wollte ich eigentlich mal wieder früher ins Bett. Aber man muss Opfer bringen.
Das Italia Unita ist ein ehemaliges Theater, das einem italienischen Kulturverein gehört. Zumindest nachts ist es aber sehr argentinisch. Die Kellnerinnen tragen kleine schwarze Hüte, die tanzbereiten Damen ausnahmslos hochhackige Tangoschuhe und Kleider. Sie sitzen von den Herren getrennt und warten. Plötzlich steht ein Herr von einem Männertisch auf und läuft quer durch den Raum direkt auf eine Frau zu, die er auf die Tanzfläche führt. Ohne auch nur ein Wort zu reden. Nach drei Tangos ertönt "Owner of a lonely heart" von Yes, dann gehen beide wieder zu ihren Tischen zurück. Mysteriös. Das ist also der berühmte Code der Blicke. Wenn man jemanden zu lange anguckt, kommt er an und man muss tanzen. Gefragt wird die Dame beim Tango ja eher weniger.
L. und ich nippen nervös am Rotwein, schauen auf den Boden und warten auf die Tangoexpertin. "Ich hatte erst 15 Tanzstunden", zischt L. "Hast du gesehen, wie die hier alle tanzen?"
In der Tat. Hier sind anscheinend lauter Profis unterwegs, die hochelegant und ohne die mindesten Koordinationsstörungen übers Stäbchenparkett gleiten. Ich würde lieber sterben, als meine teutonischen Trampelfüsse auch nur eine Sekunde auf dieses Pflaster zu setzen. Die Tangoexpertin erscheint, lacht über unsere verschreckten Tanzstundenminen und klärt uns auf: Nur gucken bedeutet gar nix. Aber wenn einem ein Herr in die Augen schaut und leicht das Kinn hebt, dann will er tanzen. Entweder nickt die Dame dann und erhebt sich, oder sie wühlt so lange konzentriert in ihrer Handtasche oder schaut in die Luft, bis er die Message verstanden hat. Getanzt wird dann aber immer eine ganze "tanda", drei oder vier Tangos. Erst wenn die Musik wechselt, kann man gehen. Wenn man schlecht getanzt hat und trotzdem noch mal aufgefordert wird, ist es was Sexuelles.
Um halb drei gibt es eine kleine Show-Einlage: Ein 16jähriges Wunderkind tanzt mit ihrem pferdeschwänzigen Partner, dass alle aufstehen und die Gläser erheben. Sie kommt aus einer Familie von Turniertänzern und hat mit zwei die ersten Schritte gelernt.
Ich wehre erschrocken einen Typen ab, der mit mir tanzen will. L. tanzt, schämt sich, tanzt nochmal, und nochmal. Zwei mal der gleiche Tänzer, obwohl der mindestens fünfmal so gut tanzt wie sie. Muss wohl was Sexuelles sein. Um halb fünf schlafe ich fast am Tisch ein, die Tangofrau hat neue Energie getankt und redet einfach immer weiter. L. tanzt, die Kellnerin bringt Gratis-Sekt und ich muss ins Bett.
Als wir schlaftrunken auf ein Taxi warten, kommt ein junges Paar an. "Was,es leert sich da drin? Was ist bloss los mit den Milongas von Buenos Aires?!" empört sich die Tänzerin und zieht ihren Mann an der Hand hinein, für einen letzen Tanz. Die machen mich fertig mit ihrem Tango.
Am nächsten Morgen erzählt mir Caro beim Frühstück, dass die Milonga und das Kokain zusammen gehören wie Techno und Ecstasy.
Wieder was Wichtiges gelernt.
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Donnerstag, 14. Juni 2007
O Globo
bloggos aires, 18:51h
Erheiternde bis skurrile Nachrichten erreichen mich gerade. Mein geschätzter Studiengang soll eingestellt werden. Die taz hat ein neues online-Kleidchen, das ihr ausgezeichnet steht, wie ich finde.
Mutter bekennt nach vielen Jahren, dass sie die Gardel-CDs von Papa eigentlich total scheisse findet.
Und die ZEIT will von den Lateinamerika-Austauschlern wissen, wie in den einzelnen Ländern so geküsst wird. Nachdem sich meine einschlägigen Erfahrungen auf ein winzigkleines Nachbarland beschränken, muss ich wohl auf Beobachtungen aus zweiter Hand zurückgreifen: Die Argentinier sind grosse Küsser, aber dezente. Überall wird gebusselt, der Chef schmatzt einen ebenso auf die Wange wie bis dato völlig Unbekannte. Je intensiver der Bekanntheitsgrad, desto lauter und fester wird geschmatzt. Nichts für Sozialphobiker. Aber auch nix für Knuddelbären. Denn wenn ein Franzose oder anderer Ausländer mit zwei oder gar drei Küssen ankommt, wird der Argentinier nervös. Auch, wenns feucht wird, oder von allzu festen Umarmungen begleitet wird. Auch die Jugend benimmt sich: Geknutscht wird zwar überall, aber nicht mit allzu viel Zunge. Die Schraubstockorgien, die ich noch von meinem Schulhof kenne, gibt es hier nicht, dafür ist man denn doch zu katholisch. Oder zu argentinisch. Wer einmal gesehen hat, welche Gesichter die Leute machen, wenn sie in der überfüllten U-Bahn aneinander gepresst werden, weiss, dass es ein erhebliches Distanzbedürfnis gibt. Schlechte Zeiten für Frotteisten. Was doch begrüssenswert ist.
Der Kollege, der in Brasilien ist, ging auf die Küsserei gar nicht ein, sondern klagte lieber über nicht enden wollende Erkältungen, pervers heruntergedrehte Klimaanlagen und religiöse Verkitschung.
Da spür ich doch gleich wieder ein leichtes Kratzen im Hals. Und lese in der online-taz, was der Papst seinen Schäfchen zum Thema Amnesty International rät: Sofort alle Zahlungen an die Babytöter einstellen. Ob die Opus-Dei-Mitglieder unter meinen argentinischen Zeitungskollegen jetzt gleich ein kleines Feuerchen aus AI-Flyern entzünden?
Es bleibt spannend in Buenos Aires, schalten Sie nicht weg.
Mutter bekennt nach vielen Jahren, dass sie die Gardel-CDs von Papa eigentlich total scheisse findet.
Und die ZEIT will von den Lateinamerika-Austauschlern wissen, wie in den einzelnen Ländern so geküsst wird. Nachdem sich meine einschlägigen Erfahrungen auf ein winzigkleines Nachbarland beschränken, muss ich wohl auf Beobachtungen aus zweiter Hand zurückgreifen: Die Argentinier sind grosse Küsser, aber dezente. Überall wird gebusselt, der Chef schmatzt einen ebenso auf die Wange wie bis dato völlig Unbekannte. Je intensiver der Bekanntheitsgrad, desto lauter und fester wird geschmatzt. Nichts für Sozialphobiker. Aber auch nix für Knuddelbären. Denn wenn ein Franzose oder anderer Ausländer mit zwei oder gar drei Küssen ankommt, wird der Argentinier nervös. Auch, wenns feucht wird, oder von allzu festen Umarmungen begleitet wird. Auch die Jugend benimmt sich: Geknutscht wird zwar überall, aber nicht mit allzu viel Zunge. Die Schraubstockorgien, die ich noch von meinem Schulhof kenne, gibt es hier nicht, dafür ist man denn doch zu katholisch. Oder zu argentinisch. Wer einmal gesehen hat, welche Gesichter die Leute machen, wenn sie in der überfüllten U-Bahn aneinander gepresst werden, weiss, dass es ein erhebliches Distanzbedürfnis gibt. Schlechte Zeiten für Frotteisten. Was doch begrüssenswert ist.
Der Kollege, der in Brasilien ist, ging auf die Küsserei gar nicht ein, sondern klagte lieber über nicht enden wollende Erkältungen, pervers heruntergedrehte Klimaanlagen und religiöse Verkitschung.
Da spür ich doch gleich wieder ein leichtes Kratzen im Hals. Und lese in der online-taz, was der Papst seinen Schäfchen zum Thema Amnesty International rät: Sofort alle Zahlungen an die Babytöter einstellen. Ob die Opus-Dei-Mitglieder unter meinen argentinischen Zeitungskollegen jetzt gleich ein kleines Feuerchen aus AI-Flyern entzünden?
Es bleibt spannend in Buenos Aires, schalten Sie nicht weg.
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Mittwoch, 13. Juni 2007
Los dos demonios
bloggos aires, 13:46h
Das kommt davon, wenn man der Literatur glaubt.
"Die Bar meines Freundes Norman ", beteuert mein neuer Lieblingsschriftsteller Fabián Casas, "existiert wirklich. Sie ist an der Ecke Cordoba und Billinghurst, zwei goldene Löwen bewachen den Eingang".
Norman, schreibt Casas, sei massig, blond und gelernter Friseur. Er trage sieben Ringe an den Fingern, unter anderem "NOR" und "MAN", sein grösster Held sei Batman. In der Bar: Zebrabezüge, rote Herzen, Spiegel und eine sehr gemischte Klientel.
Natürlich musste ich da hin. Auch L. gefiel die Idee, wegen eines Kurzgeschichtenbandes üble Spelunken aufzusuchen. Gestern also, nach Redaktionsschluss auf zu den Löwen. Da standen sie, vor dem Eingang unterhielten sich drei ausgesprochen schmierige ältere Herren in Kamelhaarmänteln und spitzen Schuhen. An den verspiegelten Scheiben stand: "VIP Champagner Bar" und "Dieses Lokal wird von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht." Leider war noch geschlossen.
In einer Theaterkneipe erklärte mir L., was es mit den zwei Dämonen auf sich hat. Zu meiner Überraschung hat es wenig mit Heavy Metal zu tun, aber viel mit der Diktatur: Danach, während des Proceso, hieß es, dass ja schließlich beide gleichermassen Teufel gewesen seien: Die Militärs und die bewaffneten linken Guerillagruppen. Daher würde sich das mit der Schuld ja irgendwie aufheben. Angesichts 30.000 "Verschwundener", in den Fluss geschmissener und in unterirdischen Folterzentren zu Tode gequälter Menschen eine wirklich teuflische Theorie. Und natürlich eine Position der extremen Rechten.
Und das alles erzählt mir eine Frau, die ihre Eltern nie kennen gelernt hat, weil sie verschleppt wurden, als sie ein Jahr alt war. Heute arbeitet sie für eine Zeitung, die damals stramm auf Seiten des Regimes war.
Zwischen den Löwen sind jetzt die Türen geöffnet, drinnen alles voller Spiegel und viele 17jährige in knappsten Röckchen, die in den Sesseln lümmeln, sich gegenseitig das Dekolleté richten und warten. Wir bestellen Champagner für zwei Euro fünfzig das Glas, setzen uns den bohrenden Blicken der Barfrau aus und beobachten, wie Männergruppen herein strömen und im Keller verschwinden. Der grosse Mann in Schwarz ist vermutlich Norman, aber die Ringe und Ketten sind weg. Musik legt er auch keine auf, er ist zu sehr damit beschäftigt, die Mädels nach draussen zu scheuchen, damit sie mehr Kunden fangen. Eine Laufschrift warnt davor, Streit anzuzetteln oder Peronen beiderlei Geschlechts zu belästigen. Belästigen kostet hier nämlich mindestens ein paar Gläser Champagner. Was im unteren Höllenkreis der Dämonen stattfindet, malen wir uns zwar aus, verkneifen uns aber das Hinabsteigen. So viel Realismus muss dann doch nicht sein.
"Die Bar meines Freundes Norman ", beteuert mein neuer Lieblingsschriftsteller Fabián Casas, "existiert wirklich. Sie ist an der Ecke Cordoba und Billinghurst, zwei goldene Löwen bewachen den Eingang".
Norman, schreibt Casas, sei massig, blond und gelernter Friseur. Er trage sieben Ringe an den Fingern, unter anderem "NOR" und "MAN", sein grösster Held sei Batman. In der Bar: Zebrabezüge, rote Herzen, Spiegel und eine sehr gemischte Klientel.
Natürlich musste ich da hin. Auch L. gefiel die Idee, wegen eines Kurzgeschichtenbandes üble Spelunken aufzusuchen. Gestern also, nach Redaktionsschluss auf zu den Löwen. Da standen sie, vor dem Eingang unterhielten sich drei ausgesprochen schmierige ältere Herren in Kamelhaarmänteln und spitzen Schuhen. An den verspiegelten Scheiben stand: "VIP Champagner Bar" und "Dieses Lokal wird von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht." Leider war noch geschlossen.
In einer Theaterkneipe erklärte mir L., was es mit den zwei Dämonen auf sich hat. Zu meiner Überraschung hat es wenig mit Heavy Metal zu tun, aber viel mit der Diktatur: Danach, während des Proceso, hieß es, dass ja schließlich beide gleichermassen Teufel gewesen seien: Die Militärs und die bewaffneten linken Guerillagruppen. Daher würde sich das mit der Schuld ja irgendwie aufheben. Angesichts 30.000 "Verschwundener", in den Fluss geschmissener und in unterirdischen Folterzentren zu Tode gequälter Menschen eine wirklich teuflische Theorie. Und natürlich eine Position der extremen Rechten.
Und das alles erzählt mir eine Frau, die ihre Eltern nie kennen gelernt hat, weil sie verschleppt wurden, als sie ein Jahr alt war. Heute arbeitet sie für eine Zeitung, die damals stramm auf Seiten des Regimes war.
Zwischen den Löwen sind jetzt die Türen geöffnet, drinnen alles voller Spiegel und viele 17jährige in knappsten Röckchen, die in den Sesseln lümmeln, sich gegenseitig das Dekolleté richten und warten. Wir bestellen Champagner für zwei Euro fünfzig das Glas, setzen uns den bohrenden Blicken der Barfrau aus und beobachten, wie Männergruppen herein strömen und im Keller verschwinden. Der grosse Mann in Schwarz ist vermutlich Norman, aber die Ringe und Ketten sind weg. Musik legt er auch keine auf, er ist zu sehr damit beschäftigt, die Mädels nach draussen zu scheuchen, damit sie mehr Kunden fangen. Eine Laufschrift warnt davor, Streit anzuzetteln oder Peronen beiderlei Geschlechts zu belästigen. Belästigen kostet hier nämlich mindestens ein paar Gläser Champagner. Was im unteren Höllenkreis der Dämonen stattfindet, malen wir uns zwar aus, verkneifen uns aber das Hinabsteigen. So viel Realismus muss dann doch nicht sein.
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